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Pseudowissenschaft: Glyphosat und Grapefruits sind mörderisch

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Im April wurde eine „Studie“ veröffentlicht, laut der Glyphosat eine lange Liste an Krankheiten verursacht:

inflammatory bowel disease, obesity, depression, ADHD, autism, Alzheimer’s disease, Parkinson’s disease, ALS, multiple sclerosis,cancer, cachexia, infertility, and developmental malformations.

Es handelt sich dabei um die Arbeit „Glyphosate’s Suppression of Cytochrome P450 Enzymes and Amino Acid Biosynthesis by the Gut Microbiome: Pathways to Modern Diseases“ von Stephanie Seneff und Anthony Samsel, die im Physik-Journal „Entropy“ abgedruckt wurde. Die Arbeit erregte in amerikanischen Medien relativ viel Aufmerksamkeit, da sie sofort von diversen grünen Webseiten und einigen Zeitungen aufgegriffen wurde.

In einem vorhergehenden Blogpost haben wir schon einige generelle Probleme mit den Arbeiten von Stephanie Seneff aufgezeigt. Da diese Arbeit aber eine relativ große Reichweite erlangt hat, möchten wir einen genaueren Blick darauf werfen.

Fry MemeIn der Arbeit wird behauptet, dass Glyphosat praktisch für jede Krankheit, an der wir heute leiden, verantwortlich sei. Wenn man die Liste der Krankheiten oben liest, sollte einem schon ein leiser Verdacht kommen, dass da etwas nicht stimmen kann. Es sind viel zu viele Krankheiten, an denen Glyphosat plötzlich eine Mitschuld haben soll. Das ist zwar noch kein Argument, aber da schlägt der Bullshitdetektor schon aus.

Der Artikel liefert als Grund, warum Glyphosat so viele Krankheiten verursachen kann:

We explain the documented effects of glyphosate and its ability to induce disease, and we show that glyphosate is the “textbook example” of exogenous semiotic entropy: the disruption of homeostasis by environmental toxins.

Ah! „Exogenous semiotic entropy“. Alles klar? Nein. Wohl nicht. Was könnte das sein? Eine Suche im Internet fördert zwei Dinge zu Tage: Obige Studie und eine Menge Artikel, die sich fragen, was der Begriff denn bedeuten könnte.

Einige vermuten, dass der Term einfach frei erfunden sei. Aber das stimmt nicht. Wenn man weiß, dass das der Titel der Journalausgabe „Biosemiotic Entropy“ lautet, kommt man dem Rätsel auf die Spur, was auch schon anderen aufgefallen ist.

exogenous semiotic entropy
exogenous biosemiotic entropy

Eine Übersetzung der Fremdwörter liefert in etwa folgende Bedeutung: (Details/Präziser hier, inklusive eines low-tech Gerätes mit dieser Eigenschaft)
Exogenous biosemiotic entropy: ein Prozess zur Verminderung biologischer Signalfunktion durch einen äußerlichen Einfluss.

Wäre man böswillig, könnte man vermuten, dass die Autoren die Fremdwörter, die wohl den Kontext zum Journaltitel herstellen sollen, einfach falsch abgeschrieben haben. Kann ja passieren, wenn man nicht so genau weiß, was man da eigentlich schreibt.

Wie schon im letzten Blogpost bemerkt, werden auch hier wieder zweifelhafte Referenzen benutzt, um mit diesen die Dinge in die „richtige“ Richtung zu lenken. So werden mehrere zweifelhafte Studien von Seralini referenziert, darunter auch die relativ bekannte Rattenstudie, die wissenschaftlichen Ansprüchen nicht genügt.

Der gesamte Text ist mit Füllwörtern und Konjunktiven à la „Man kann annehmen, man kann vermuten, wir glauben, wir sind der Ansicht, es ist plausibel, …“ aufgebaut, da sie insgesamt kaum echte Daten zur Verfügung haben. Und so wird folgende „Beweiskette“ im Konjunktiv aufgebaut:

Glyphosat ist angeblich ein CYP (Cytochrom P450) Inhibitor. Das ist bedeutsam, da CYP-Enzyme an einer Vielzahl metabolischer Prozesse beteiligt sind. Weiters bewirkt Glyphosat eine Unterbrechung des Shikimisäurewegs, eines Stoffwechselwegs, der in Menschen nicht vorkommt. Da dieser aber in Darmbakterien vorkommt, wirkt Glyphosat auf diese.

Die Beweisführung ist daher einfach: Bei alle Krankheiten, an denen metabolische Prozesse oder Darmbakterien beteiligt sind, muss Glyphosat einfach auch beteiligt sein. Beweisführung abgeschlossen.

Nicht, dass man Daten oder so dazu hätte, das wird einfach als vernünftiger Verdacht angenommen:

It is reasonable to suspect that glyphosate’s impact on gut bacteria may be contributing to these diseases and conditions.

Wilde Spekulation wird als vernünftig hingestellt und am Ende in der Conclusio als Fakt präsentiert:

This paper presents an exhaustive review of the toxic effects of the herbicide, glyphosate [..], can remarkably explain a great number of the diseases and conditions that are prevalent in the modern industrialized world.

Aber es kommt noch besser. Ein großer Teil der Arbeit basiert ja auf der Idee, dass Glyphosat ein CYP-Inhibitor ist. Eine der zitierten Studien hat aber tatsächlich diese Eigenschaft getestet. Dabei zeigte sich, dass Glyphosat inaktiv gegen alle Isoformen von CYP außer 2C9 beim Menschen ist. Weiters ist es praktisch unmöglich, durch Nahrung die im Artikel beschriebenen Konzentrationen zu erreichen.

In kritischen Kommentaren im Internet finden sich noch weitere Hinweise auf Fehler; die Online-Arbeit ist jedenfalls nicht das Papier wert, auf dem sie gedruckt wurde.

Inzwischen werden sich viele Leser vielleicht fragen, warum wir Grapefruits im Titel erwähnen. Ganz einfach: Grapefruit-Saft ist ein bekannter CYP-Inhibitor. Auch diverse andere Stoffe haben Einfluss darauf.

Um jetzt strikt pseudowissenschaftlich im Sinne von Frau Seneff zu folgern:
Da Grapefruitsaft ein CYP-Inhibitor ist, könnte man Grund zur Annahme der Hypothese haben, dass Grapefruitsaft Übergewicht, Diabetes, Herzkrankheiten, Depression, Autismus, Unfruchtbarkeit, Krebs und Alzheimer (und einige mehr) verursacht.

Das ist natürlich Unsinn, aber die Logik ist dieselbe.


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